Der Fluchtbericht stammt nicht von den abgebildeten Personen.
Sofia B.
Sofia B. aus dem besetzten Cherson und ihr erwachsener Sohn umrundeten halb Osteuropa, um letztendlich der russischen Einflusssphäre zu entkommen. Da die neuen Machthaber 18- bis 35-jährigen Männern die Ausreise in ukrainisch verwaltetes Gebiet untersagten, blieb als Ausweg für sie nur eine gebuchte Busreise über die Krim (Filtrationslager Armjansk), Russland, das Baltikum und Polen – mehr als 4.700 Kilometer in sieben Tagen. Davon wartete man allein drei Tage lang am Grenzübergang zwischen Russland und Estland auf die Ausreise, mit rund 1.000 anderen und unter freien Himmel. Nach dem Ankommen auf der Krim habe man in Armjansk ein Filtrationslager durchlaufen, vor allem Männer wurden unter die Lupe genommen, doch auch sie kam an die Reihe. Sie habe aus ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Referendum keinen Hehl gemacht. Die Unerschrockenheit dieser Frau beeindruckt mich. Man ließ sie passieren. Anfang Oktober erreichte Sofia schließlich die Kleinstadt Edineţ im Norden der Moldau. Hier traf sie ihre Mutter wieder, die Cherson mehrere Monate früher verlassen hatte.
Wir bedanken uns für das Gespräch, Sofia steht auf. Und kommt kurz darauf zurück, sie will noch erzählen: Vom unerträglichen Gestank in ihrem Stadtviertel. Die Russen hätten nachts neben dem Friedhof am Stadtrand ihre eigenen Gefallenen und ermordete Stadtbewohner verbrannt. Die Leichen wurden aber auch in Massengräbern verscharrt: Ein Baggerfahrer habe ihrem Arbeitskollegen berichtet, wie er einen Graben für gefallene russische Soldaten aushob, zwei LKWs voll. Dabei sei ihm aufgefallen, dass sich einer der Soldaten noch bewegte. „Schütte den Graben zu, sonst kannst du dich selbst gleich dazulegen“, lautete die Anordnung. An den Stadträndern seien Burjaten, Tschetschenen und Verpflichtete der beiden „Volksrepubliken“ zum Einsatz gekommen, zwischen den Gruppen sei es zu Schießereien gekommen. Im Stadtzentrum hingegen war die Nationalgarde (Rosgwardija) stationiert.