Von Frank Gaudlitz
„Wir wissen selbst nicht, in welchem Land wir leben. Keiner weiß das.“ 180 Ziegen bewacht Anatoli auf einem alten Industriegelände, das aussieht, als ob eine russische Rakete schon vor langer Zeit eingeschlagen hat. Wir treffen ihn auf dem Weg nach Varniţa, dem letzten Dorf vor der Grenze. Die Situation ist kompliziert. Zuvor gilt es eine Exklave der Pridnestrowischen Moldauischen Republik, kurz Transnistrien, zu durchqueren, den Mikro-Rayon Nord-Bender.
Ein erster Kontrollpunkt wirkt wie ein Kinderspielplatz und angesichts der ihm obliegenden Funktion etwas lächerlich. Uniformierte sind damit beschäftigt, Schlagbäumen einen neuen Farbanstrich zu geben. Rot-Weiß-Rot-Weiß-Rot. Ein getarnter Schützenpanzer, veraltetes Modell, richtet absurder Weise die Kanone in Richtung des sogenannten eigenen Staatsgebietes. Auf ein paar zusammen gezimmerten Holzbänken sitzen schwer Bewaffnete beim Tee. Eine Kontrolle gibt es nicht.
Im einige Jahre schwelenden Transnistrien-Konflikt erreichte das Gebiet am linken Ufer des Dnister 1992, nach einem kurzen Krieg, eine De-facto-Unabhängigkeit, die jedoch von keinem Land der Welt anerkannt ist.
Die asphaltierte Straße führt an den Ruinen des Benderskij Sawod Nr.3 vorbei. Gegenüber halten etwa zehn Wohnblocks die Stellung. Aus ihnen sollen Scharfschützen 1992 auf moldauische Landsleute geschossen haben. Einem politischen Verfall folgt auch immer ein moralischer.
Nach diesem schmalen Streifen letzter Urbanität fällt der Hang ab zum Dnjestr. Belegt ist er von kleinen Datschen, die sich durch Wellblech, Asbestplatten und mit Natodraht gekrönten Zäunen voreinander schützen. Auf einem Zettel an der Bushaltestelle wird eine Gartenparzelle zum Kauf angeboten, Adresse: Aprikosenweg.
Der Ziegenhirt winkt uns hinterher: „Kommt wieder, ihr seid herzlich eingeladenen“
Guten Tag, Herr Gaudlitz!
Es fehlt schmerzlich eine Karte!
Der Artikel setzt zu viel Kenntnisse voraus. Wie ist denn die aktuelle Situation im „einige Jahre schwelenden Transnistrien-Konflikt“?
Welche Relevanz hat es für den Leser, dass eine asphaltierte Straße am „Benderskij Sawod Nr. 3“ vorbei führt?
Und ich vermisse eine Erläuterung des Satzes: „Einem politischen Verfall folgt auch immer ein moralischer.“ Ist etwa der Verkauf einer Gartenparzelle im Aprikosenweg ein Beleg für den moralischen Verfall?!
Kurzum: schreiben Sie bitte einen längeren und informativeren Artikel zum Thema „jahrelang schwelender Transnistrien-Konflikt“ und dessen Rahmenbedingungen!
Herzlichen Dank im Voraus,
mit freundlichen Grüßen!
Erwin Czarzynski
Hallo Herr Czarzynski,
vielen Dank für Ihr Interesse an unserem Blog.
Ich habe Paulus Adelsgruber gebeten, Ihnen zum Transnistrien-Konflikt zu schreiben. Wir haben das Projekt in Moldau gemeinsam realisiert und er ist als Historiker, der an zwei Hochschulen in Chișinău lehrt, vertrauter mit der Problematik.
In meinen kurzen Texten erlaube ich mir, subjektiv die Stimmung der durchreisten Gegenden aufzunehmen. Assoziationen sind mir lieber als Antworten.
Mit herzlichen Grüßen aus Armenien
Frank Gaudlitz
Guten Tag, Herr Czarzysnki!
Zum Thema Transnistrien-Konflikt könnte man viel schreiben. Sie haben nach der aktuellen Lage gefragt. Diese ist trotz des Krieges stabil, wenn auch auf dünnem Eis. Bis auf einige undurchsichtige Anschläge innerhalb Transnistriens im Jahr 2022 blieb die Lage politisch und militärisch ruhig. In der derzeitigen Lage können Provokationen aber nicht ausgeschlossen werden, eine militärische Aktion Transnistriens scheint aber wenig wahrscheinlich. Etwas mehr Kopfzerbrechen bereitet die Situation rund um das Munitionsdepot Cobasna – dort lagern seit Ende der UdSSR tausende Tonnen Munition. Die moldauisch-transnistrische Kontaktlinie (de facto ja eine Binnengrenze) wird seit 30 Jahren durch Militärposten gesichert, hierbei gibt es russische Posten, aber auch Posten mit gemischtem Personal (Russen, Transnistrier, Moldauer). Der Grenzübertritt ist auch derzeit für Bewohner beider Landesteile und für Touristen möglich.
Mit vielen Grüßen,
Paulus Adelsgruber